Project Description
3D-Rendering für ein mögliches Denkmal im Gedenken an die Opfer von NS-Zwangsarbeit.
DIE ZUKUNFT DES VERGANGENEN
Ein Projekt von Martin Baumert & Martin Haufe
Dem Ort Böhlen kam während der NS-Zeit eine wichtige Rolle als Zentrum der Rüstungsproduktion zu. Es gab mehrere Großunternehmen, die kriegsentscheidende Grundstoffe wie Treibstoffe, Energie und Edelstahl produzierten. Die ansässigen Firmen expandierten vor dem Zweiten Weltkrieg und währenddessen sehr stark, was mit dem wirtschaftlichen Aufstieg und Ausbau des Ortes Böhlen Hand in Hand ging. Um dies zu ermöglichen, wurden in den Kriegsjahren Zwangsarbeiter*innen eingesetzt, die in Lagern um Böhlen untergebracht waren und unter menschenunwürdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen ausgebeutet wurden. Es ist ebenfalls bekannt, dass 1944 ein KZ-Außenlager in Böhlen errichtet wurde. Neben dem Einsatz in der Industrie wurden viele der in Böhlen untergebrachten Zwangsarbeiter*innen im privatwirtschaftlichen Sektor eingesetzt. Dort mussten sie bei Bauern und Handwerkern arbeiten oder Hilfe beim Luftschutz leisten. Im Zuge des Braunkohleabbaus während der DDR-Zeit hat sich die Landschaft um Böhlen stark verändert und viele der damaligen Lagerstandorte sind heute nicht mehr sichtbar.
Das Gedenken an diese Zeit ist bis in die Gegenwart eine Leerstelle im Böhlener Stadtbild. Zwar gibt es ein zentrales Denkmal, welches den „Opfern des Faschismus“ gewidmet ist, jedoch keinen Platz, der explizit der Zwangsarbeiter*innen gedenkt. Die Schaffung eines solchen Ortes ist unserer Meinung nach jedoch eine Notwendigkeit. Dabei spielt neben der wissenschaftlich geschichtlichen Aufarbeitung auch die Frage: „Wie kann man ein zeitgenössisches Denkmal gestalten?“ eine zentrale Rolle. Jede Generation sollte sich neu damit auseinandersetzen, wie und woran erinnert wird. Die in Böhlen bestehenden Gedenkorte stammen aus der DDR-Zeit und orientieren sich damit am entsprechenden Wertekanon dieses Systems. Ein damit erhobener Ewigkeitsanspruch vergröbert jedoch ein historisches Bewusstsein eher, statt es zu verfeinern und das Gedenken um aktuelle Erinnerungsdebatten zu erweitern. Dieses Paradoxon wollen wir in unserem Entwurf lösen, in dem große Teile des Denkmals fragil und temporär gestaltet sind und durch Witterungseinflüsse verfallen werden. Damit wird ein Ort geschaffen, an dem zukünftige Generationen immer aufs Neue mit der Erinnerung an diese Zeit in Interaktion treten können. Zugleich dient uns historisches Bildmaterial aus Archiven als Ausgangspunkt für die Gestaltung des Denkmals. Somit versuchen wir eine konzeptionelle Verknüpfung zu schaffen, die von der Vergangenheit in die Gegenwart reicht und offen gegenüber der Zukunft ist. Eine ausführliche Beschreibung des Denkmalskonzepts wird im Rahmen des Projektes als Buch publiziert.
Um das Vorhaben nach außen zu kommunizieren, wurde eine Petition in den Böhlener Stadtrat eingereicht. Der Text fasst Schwerpunkte unserer Recherche zusammen und bekräftigt die Forderung nach der Notwendigkeit eines neuen Gedenkortes. Über das Mittel der Petition wurde versucht, konzeptionelle Überlegungen zu vermitteln, diese in einen realen politischen Prozess einzubringen und öffentlich zur Diskussion zu stellen.
Die Konzeption hat bewusst utopischen Charakter. Dies resultiert zum einen aus Fragen und Anforderungen, die wir uns selbst zum Thema Denkmal gestellt haben. Auf der anderen Seite soll das Projekt das Thema Zwangsarbeit auf einer relationalen kommunikativen Ebene zurück in das Bewusstsein der Böhlener Bürger*innen rufen. Ein Denkmal kann nur ein kleiner Teil des Erinnerns sein, eine gelebte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des eigenen Wohnortes ist für uns das wesentliche Anliegen.
Seit dem Beginn des Projektes im Jahr 2013 bieten wir zwei Mal jährlich eine Fahrradtour zu den Orten von NS-Zwangsarbeit in Böhlen an. Bis zum Jahr 2020 besuchten diese Touren über 300 Personen. Durch andauernde Recherche konnten wir belegen, das in Böhlen ein KZ-Außenlager existiert hat, bzw. KZ-Insassen*en zur Arbeit herangezogen wurden. Im Jahr 2016 wurde in der Nähe der ehemaligen Hochhalde Lippendorf ein Gedenkstein für niederländische Opfer von NS-Zwangsarbeit eingeweiht. Aufgrund der überregionalen Bedeutung des Standort Böhlen haben wir unsere Arbeit seit 2017 auf den Ort Espenhain ausgeweitet.
Broschüre zum Projekt Die Zukunft des Vergangenen – Künstlerische Positionen zur Erinnerung an die KZ-Außenlager im Landkreis Leipzig
Project in collaboration with historian Dr. Martin Baumert.
The town of Böhlen played an important role as a center of armaments production during the Nazi regime. The local companies expanded intensely before and during World War II. To make this possible, massive amounts of forced laborers were exploited under inhumane living and working conditions. In addition to their use in the industrial sector, many forced laborers were also employed in the private sector for farmers and artisans. In the course of lignite mining during the GDR era, the landscape around Böhlen has changed greatly and many of the former labor camp locations are no longer visible today.
The memory of this time is a blank space within the cityscape, so there is no place that explicitly commemorates the forced laborers. However, making this part of the story visible is a necessity, so we petitioned the city council to demand the creation of a new memorial site. This raised the question of what a new monument might look like. The existing memorial sites are all from the GDR era and are thus based on a corresponding historical narrative and ideological canon. This claim to eternity coarsened a historical consciousness rather than allowing one to arise. Our design takes up this contradiction, in that the individual parts of the monument are very fragile and will disappear again after a short time. We can only speak for the now. The mural in the exhibition is another way to visualize the complex process of remembering. It combines different materials and methods, such as archive photos and other found pieces. It is meant to shed light on conceptual thinking movements in the context of the project but is not readable as direct information in the sense of a diagram. Rather, structures are made visible through which questions are raised; it is thus more open ended than a mere cognitive tool.
Since the start of the project in 2013, we have been offering bicycle tours to the sites of Nazi forced labor in Böhlen twice a year. By 2020, these tours had been attended by over 300 people. Through ongoing research, we were able to prove that a satellite camp of concentration camp Buchenwald existed in Böhlen, and that concentration camp inmates were forced to work here. In 2016, a memorial stone for Dutch victims of Nazi forced labor was inaugurated near the town of Böhlen. Due to the importance of the Böhlen location, we have expanded our work to the nearby town of Espenhain since 2017.